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Ohne Fleiß kein Preis

Circa 80 Prozent der Chinesen arbeiten in Fabrikationsstätten

In einem Land, in dem die Menschen fleißiger sind als im Rest der Welt, ist der Tag der Arbeit eine große Nummer. Nicht weil die Chinesen ihre Arbeit sonderlich ehren würden, nein, die meisten würden lieber heute als morgen in Rente gehen, aber der Maifeiertag geht mit fünf Urlaubstagen einher und ist somit nach Frühlings- und Mitherbstfest, der populärste Nationalfeiertag des Landes. Die freien Tage sind jedoch nicht alle geschenkt. Sie müssen ersetzt werden. Durch Arbeit. Nomen est Omen.

Ich erinnere mich an meine ersten Maifeiertage in China. Es begab sich an einem Sonntag. Zumindest im Rest der Welt war Sonntag. In China war jedoch Freitag. Die Chinesen hatten nämlich den Freitag gegen den Sonntag getauscht. Genauso wie sie den vergangenen Donnerstag mit dem letzten Sonntag eingetauscht hatten. Dadurch hatten sie aus dem Tag der Arbeit, der am Mittwoch war, einen fünftägigen Megafeiertag gemacht, ohne wertvolle Arbeitszeit zu verlieren. Ein ganz normales Prozedere, das auch in diesem Jahr so gehandhabt wird und dass ich natürlich anfangs nicht verstanden hatte.

Ich hatte mich gewundert, warum in meinem Lieblingsrestaurant nicht der übliche sonntägliche Auftrieb war. Auch mein Date, eine Lehrerin, hatte mir kurzfristig abgesagt, weil sie unerwartet, ein paar Unterrichtsstunden für eine Kollegin übernehmen musste. In beiden Zusammenhängen tauchte zwar die Erklärung auf, dass heute doch Freitag sei, aber ich hatte dem keine Beachtung geschenkt. Mir waren aufgrund der Sprachbarrieren so viele seltsame Sachen passiert, dass ich mich schon lange nicht mehr wunderte. Háo bāalles klar. Ich nickte stets alles ab. Man muss ja auch nicht immer alles verstehen. Irgendwann klärt sich immer alles von ganz allein auf.

„Kannst du Klavier spielen?“

Ich hatte die Anfrage meines Shanghaier Modelagenten verneint. Eine Woche später war ich dennoch gebucht. Von einem Piano-Geschäft, wie es hieß. Ich sollte wohl im Rahmen eines Video-Drehs zumindest so tun, als ob ich Klavier spielen könne. Kein Problem. Wenn du erst einmal am Set bist und die Uhr läuft – in China wird nach der Stoppuhr gemodelt – dann ist es egal, ob du wirklich Klavier spielen kannst oder nur gerne Klavierkonzerten lauschst. Dann rennt die Zeit, und da Zeit Geld kostet, machen sie das Beste daraus, Hauptsache sie haben einen Westler, der so aussieht, wie sich die hiesigen Pianokäufer einen westlichen Pianisten vorstellen. Wie sich später herausstellte, gab es kein Piano-Geschäft, sondern eine Klavierfabrik, in der ich vorgeben musste, ein deutscher Piano-Fabrikant zu sein.

Die Shampoo-Werbung mag idyllisch aussehen, war aber knallharte Arbeit. Zehn Stunden in der prallen Sonne, bei 38 Grad, umgeben von einem Dutzend vermummten Chinesen, die nur ein englisches Wort kannten: "Action!"

Auf deutscher Scheiße laufen

Ich habe Dutzende solcher Videos gedreht, in denen ich vorgebe, der westliche Designer eines chinesischen Produktes zu sein. Das wertet die Waren in den Augen der Konsumenten auf und sie verkaufen sich besser. Ganz besonders wenn sie aus Deutschland stammen. Dass deutsche Firmen wiederum gerne in China produzieren lassen, entbehrt daher nicht einer gewissen Komik. Ganz besonders, wenn Adidas für seine Kollektion in China mehr verlangt als in Deutschland, obgleich sie im Land produzieren. Das juckt den Konsumenten trotzdem nicht. Das Modell Ultraboost ist der Renner in China. „German shitty shoes“ werden sie gerne genannt. Weil sie so gut gefedert und bequem seien, fühle es sich an, als würde man auf Scheiße laufen. Der Slogan hatte mich abgeholt, ich trage nichts anderes mehr.

Trump ist mehr Segen als Fluch für China

Apropos scheiße: Trumps Zollpolitik kann man getrost als Knieschuss bezeichnen. Nicht nur, weil die Amerikaner plötzlich vor leeren Walmart-Regalen stehen und sich Unmut im eigenen Land breitmacht, sondern auch weil er dem amerikanischen Lieblingsfeind China damit politischen Aufwind verliehen hat. Seit Covid hatte sich Unmut in der Volksrepublik breitgemacht, da viele Chinesen starke wirtschaftliche Einbußen erlitten hatten. Peking hatte in ihren Augen sein Versprechen gebrochen, das Land reich und satt zu machen.

Trump hat das mit einem Schlag relativiert. Er hat das vermeintlich demokratische US-System damit ad absurdum geführt; auf die USA ist jetzt kein Chinese mehr neidisch. Und noch wichtiger: Trump hat den Zusammenhalt und Nationalstolz der Volksrepublik wieder gefestigt. Credo: Uns gibt es seit 5.000 Jahren, wir lassen uns von einem Land, das gestern erst gegründet wurde, nicht auf der Nase rumtanzen.

Da Peking schlau genug war, seine Fühler in unterschiedlichste globale Regionen auszustrecken, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes zu gewährleisten, vertraut man der Führungsebene jetzt wieder mehr. Und Trump selbst, der früher von einigen neureichen Chinesen noch verehrt wurde, ist heute nur noch Witzfigur in den Sozialen Netzwerken der Volksrepublik.

Zoll- und Visa-freie Shoppingtouren für Amerikaner

Wenn am heutigen Maifeiertag die dritte Phase (Schwerpunkt Textil & Spielzeug) der Canton Fair, der größten Handelsmesse Asiens, in Guangzhou eröffnet, sind amerikanische Besucher ausdrücklich willkommen. Die USA gehören zwar nicht zu den 38 Nationen, die Visa-frei nach China einreisen dürfen, aber zur Canton Fair dürfen Amerikaner im Transit für 144 Stunden ohne Visa ins Land. Egal ob Tourist oder Händler, jeder kann problemlos einen Messeausweis bekommen und darf dort ungeniert zu Großhandelskonditionen einkaufen. „Wir laden euch herzlich ein, eure T-Shirts für vier anstatt für 40 Dollar und die Teddys eurer Kinder für drei anstatt für 30 Dollar zu kaufen“, spotten die Händler in den Sozialen Netzwerken.

Die 18-Millionen-Metropole Guangzhou, ohnehin ein Shoppingparadies für Großhändler aus aller Welt, lockt zudem mit diversen Vergünstigungen für Messebesucher. Die wichtigste Neuerung für ausländische Besucher: Man kann sich in den großen Einkaufszentren den Steueranteil seiner Einkäufe (ab 28 Dollar) ab sofort direkt über WeChat rückvergüten lassen. Ganz ohne Papierkram. Ruckzuck. Ja, die Jungs wissen halt wie man Handelskriege führt. Sie haben 5.000 Jahre Erfahrung.

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