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Amanda ist anders. Und Anderssein ist in China nicht gefragt. Amanda ist Albino und weiß wovon sie spricht. Sie stammt aus einem Dorf in der Shaanxi Provinz. Natürlich wünschten Sich ihre Eltern, wie alle Chinesen in Zeiten der Ein-Kind-Politik, einen Sohn, damit die soziale Absicherung im Alter gewährleistet ist. Als Amanda im August 1987 auf die Welt kam, war die Enttäuschung groß. Kein Junge, aber dafür ein behindertes Mädchen.
„Ich war die erste meiner Art in der ganzen Region. Sowas hatte man noch nicht gesehen. Das konnte in den Augen der einfachen Bauern nur ein schlechtes Omen sein. Auch wenn meine Eltern mich liebten, so war ich dennoch eine Schande für sie.“
Die Eltern bemühten sich zwar ihre kleine Albino-Tochter vor all den Verleumdungen zu schützen, aber als die eigene Tante, der kleinen Amanda den Spitznamen Bian (Change) verpasst, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann zum Besseren verändern würde, ahnte sie, dass irgendwas mit ihr nicht stimmte. „Mit vier Jahren hinterfragte ich zum ersten Mal, warum mich alle Bian riefen. Warum alle wollten, dass ich anders werde. Warum ich immer ausgelacht und beschimpft wurde. Warum ich nicht richtig war, so wie ich bin.“ Sie bekam keine richtige Antwort. Stattdessen floh die Familie, vor all den ländlichen Anfeindungen, in die Provinzhauptstadt Xi’an, wo das Leben für ihr kleines Sorgenkind etwas leichter sein sollte.




Albinos werden gerne in Blindenschulen angeschoben.
Amanda hatte sich zu einem sehr schlauen Kind entwickelt. Da sie kaum Spielgefährten hatte, hatte sie ihre Zeit mit anderen Dingen verbracht und mit sieben Jahren bereits Schreiben und Lesen gelernt. „Trotzdem wollte man mich bei der Einschulung in die Blindenschule stecken. Dort landen normal alle chinesischen Albinos, weil der Albinismus stets mit einer Sehschwäche einhergeht und wir auf kurze Distanz nur zehn Prozent der üblichen Sehkraft haben. Dort lernt man natürlich keine chinesischen Schriftzeichen, sondern nur Blindenschrift. Und nach Abschluss wirst du, wie fast alle blinden Chinesen, zum Masseur ausgebildet. Du bist Teil eines staatlich subventionierten Ausbildungsprogramm für Behinderte. Albinos gelten als genauso behindert wie Blinde. Und der bequeme Nebeneffekt: Keiner muss unseren Anblick ertragen.“
Von den Mitschülern gemobbt.
Amanda schafft es diesem Kreislauf zu entkommen. Bei dem Aufnahmetest zur Blindenschule, verblüfft sie mit dermaßen guten Ergebnissen, dass die Schulleitung nicht anders kann, als sie auf eine richtige Schule zu schicken. Dort fällt sie natürlich auf. Scanner ruft man sie wegen ihrer markanten Augen. Das junge Mädchen kennt den gleichnamigen amerikanischen Horrorfilm zwar nicht, spürt aber, dass es nicht nett gemeint ist. Egal. Sie beißt die Zähne zusammen und überzeugt durch Leistung.
„Ich fühlte mich immer minderwertig.“
Das pubertierende Mädchen versucht sich anzupassen, indem sie ihre weißen Haare schwarz färbt. „Da die Haare schneller wuchsen als meine Mutter sie mir nachfärben konnte, waren die Spitzen meist weiß.“ Der passende Spitzname war schnell gefunden: Mount Fuji. „Von all den diskriminierenden Spitznamen, die mich durch mein Leben begleitet haben, war das noch der harmloseste. 20 Jahre habe ich mir die Haare gefärbt, um mich anzupassen. Zugehörig habe ich mich dennoch nie gefühlt. Ich fühlte mich immer minderwertig und konnte mein Anderssein nicht akzeptieren. Daran konnten auch wohlwollende Lehrer und liebende Eltern nichts ändern.“


Die Jahrgangsbeste fand keine Anstellung.
Die Provinzhauptstadt Xi’an war auf Dauer dennoch zu provinziell. Obgleich Amanda als Jahrgangsbeste an der Xi’an Technological University im Studiengang Internationale Wirtschaft und Handel abschloss, fand sie keine Anstellung, während ihre Kommilitonen alle irgendwo untergekommen waren. Es folgten zwei Jahre voller Zweifel und Depressionen, in denen sie sich um den schwerkranken Vater kümmert, bis sie schließlich die Kraft findet die Provinzstadt zu verlassen. „Ich war 25, hatte aufgehört mir die Haare zu färben, um irgendwo dazu zu gehören, wo ich eh nie dazu gehören werde. Die zwei schlimmen Jahre an der Seite meines todkranken Vaters hatten mir deutlich gemacht, dass es um anderes geht im Leben.“

Wenn man ein Teleskop braucht, um den Weg zu finden…
Die Stadt zu verlassen war trotzdem eine große Nummer für sie. Allein technisch gesehen. Es gab keine Smartphones oder Navigationssysteme. Die Infrastruktur war damals noch schlecht und einen Flug konnte sie sich nicht leisten. Amanda musste mit Bussen Richtung Wirtschaftsmetropole Shanghai reisen. „Das war schwierig, da ich aufgrund meiner Sehschwäche weder Landkarten noch kleingedruckte Busfahrpläne lesen konnte. Ich hatte ein Teleskop im Gepäck, um den Weg zu finden.“
Amanda hat den Weg schließlich gefunden. Er war mühsam, aber es hat sich gelohnt, denn sie hat infolge eine Karriere hingelegt, die der China Albino Association als Beispiel dient. In drei großen Konzernen hat sie ihr Knowhow bewiesen, durfte sogar beruflich die USA bereisen, bis sie schließlich bei einem großen US-Konzern in Peking unterkam. „Es ist angenehmer für ein ausländisches Unternehmen zu arbeiten, denn da werde ich nicht nach meinem Äußeren, sondern nur nach meiner Leistung beurteilt.“
In ihrer Firmenzentrale hatte sie mich einst etwas zögerlich empfangen, nachdem ich zwei Wochen lang, via WeChat, behutsam Vertrauen aufgebaut hatte. Als Vorsitzende der China Albino Association ist sie zwar bemüht, mediale Aufmerksamkeit fürs Thema zu generieren, aber die Scham über ihr Anderssein hatte sie trotzdem gehemmt. Bei der Begrüßung war sie dann auch gar nicht weiß, sondern eher schamrot. Wir führten dennoch ein langes und sehr berührendes Gespräch, in dessen Verlauf einige Tränen flossen und das mir heute, in Zeiten von Social Distancing, präsenter ist denn je.

