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Blutiges Gemetzel

Fronleichnam also. Der wahrscheinlich unsinnigste Feiertag aller Zeiten. Das Fest der leiblichen Gegenwart Christi in der Eucharistie, in der Liturgie auch Blutstag genannt, ist zwar so alt wie das Christentum, wurde aber erst infolge des Blutwunders von Bolsena (im Jahr 1264) zum offiziellen Kirchenfeiertag erklärt. Ein von Glaubenszweifeln geplagter Mönch bereitete die Hostien für das Abendmahl vor, als er blutrote Verfärbungen auf ihnen entdeckte. Die Deutung für ihn und alle anderen war klar: Die Hostien haben angefangen zu bluten, um ihm zu zeigen, dass geweihte Hostien keine gewöhnlichen Oblaten, sondern der wahrhaftige Leib Jesus Christi sind.

Stäbchenbakterium Serratia marcescens

Aus heutiger Sicht weiß man, dass es einen Erreger gibt, welcher auf kohlenhydrathaltigen Nährboden einen leuchtend roten Farbstoff bildet. Dabei handelt es sich um das Stäbchenbakterium Serratia marcescens, das erstmals 1819 wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Bis dahin hatte das Bakterium jedoch schon vielen Menschen das Leben gekostet. Dabei handelte es sich vor allem um jüdische Pfandleiher, bei denen im Mittelalter gerne Hostien als Pfand hinterlegt wurden. Als diese wieder ausgelöst wurden und sich darauf blutrote Verfärbungen zeigten, beschuldigte man den Pfandleiher, dass er den Leib Jesus Christi gemartert hätte. Infolge landete der Pfandleiher samt Anhang auf dem Scheiterhaufen. So z.B. geschehen 1492 in Sternberg (Mecklenburg), wo wenig später die Heilige Blutkapelle errichtet wurde. Infolge entstand ein regelrechter Blut-Hostien-Boom, an dem die Kirche fleißig verdiente. Wenn das mal kein zeitgemäßer Grund zum Feiern ist.

So hätte ich mir das gewünscht.

Passend zum Blutfest bekam ich gestern das Ergebnis meines SARS-CoV-2-Immunitätstest vom Labor zugestellt: Negativ! Ich habe angeblich keine Antikörper im Blut. Demnach wären alle fünf Corona-Infektionen, die ich in den letzten Monaten durchlitten habe, nur eingebildet gewesen. So ein Blödsinn! Am liebsten würde ich das Labor verklagen. Da die jedoch nur eine 98-prozentige Treffsicherheit garantieren, macht das keinen Sinn.

Meine Laune ist dennoch endgültig am Tiefpunkt angelangt. War ich die ersten beiden Monate noch ganz gut klargekommen mit dem Pandemie-Gedöns, sind die Grenzen meiner Belastbarkeit mittlerweile ausgereizt. Meine Nerven liegen blank. Kleinste Zwischenfälle werden schnell zum Drama. Die affektierte Nachbarin, die mit ihrem SUV meinen Cinquecento beim Ausparken geschrammt hatte, ging mir infolge dermaßen auf die Nerven, dass ich einen Anwalt eingeschaltet habe, um den Bagatellschaden abzuwickeln.

Bereits drei Unfälle während der Pandemie.

Dem Wirt, der mich letzte Woche beim Betreten seines Lokals in Kufstein hysterisch mit „Maske, Maske!“ anblökte, weil ich wieder Mal keine anhatte, habe ich dermaßen den Marsch geblasen, dass ich mich dort nie wieder blicken lassen kann. Den deutschen Bundesgrenzschützer, der mich kurz darauf zwang, meine soeben angefertigten Videoaufnahmen vom Grenzübergang von meinem iPhone zu löschen, hätte ich auch am liebsten rund gemacht, aber gut, wer so blöd ist, zu glauben, dass ein gelöschtes iPhone Video nicht rekonstruierbar ist, der ist eh schon genug gestraft. Wo ich denn herkäme, wollte der Babyzöllner von mir wissen. „Aus Kufstein.“ „Wo is das?“ „In Tirol.“ „Und wo is das genau?“ „Fünf Kilometer von hier.“ „Ach so, echt? Wissense, ick komme aus Berlin, ick kenne mich hier nich so aus.“ Der arme Kerl, da tat er mir schon wieder leid.

Berliner Aushilfszöllner am Grenzübergang Kufstein.

Besonders getroffen hat mich das Schicksal meines Nachbarn in Thiersee. Seine Oma ist gestorben. Mitten während des strengen Lockdowns. Ich hatte die 91-jährige Dame an Weihnachten kennengelernt. Sie war seit längerem bettlägerig und die Familie hatte sie über die Festtage aus dem Pflegeheim nach Hause geholt. Mitten in der Wohnstube, direkt neben dem Weihnachtsbaum, hatten sie ihr ein Krankenbett aufgebaut und die ganze Familie saß um sie herum, als ich zum Kaffeekränzchen vorbeischaute. Die Oma war der Mittelpunkt des Geschehens, bot mir Plätzchen an, wünschte mir frohe Weihnachten. Nie hatte ich einen todgeweihten Menschen glücklicher strahlen gesehen. 

Die radikalen Maßnahmen des Ösi-Kanzlers hatten viele unschöne Konsequenzen.

Als die strenge Ausgangssperre über Österreich verhängt wurde, war es der Familie plötzlich untersagt die Oma im Heim zu besuchen. Nach Hause holen, schien ihnen zu gefährlich. Acht Wochen lang bekam sie niemand zu Gesicht. Zweimal am Tag sei ein Pfleger mit Essen vorbeigekommen, für mehr Zuwendung hätte es krisenbedingt kein Personal gegeben. Die Oma habe darüber ihren Lebenswillen verloren und sei einfach irgendwann für immer eingeschlafen. Die Oma ist somit nicht an Corona, aber wegen Corona gestorben. Oder vielleicht auch wegen Kanzler Kurz‘ Brutalo-Maßnahmen. Glück im Unglück: Sie wurde nicht, wie so viele andere, einfach verbrannt, sondern durfte zwei Wochen später in ihrer Heimatgemeinde beerdigt werden. Zur Beisetzung durften nur die engsten Familienmitglieder kommen. Der Pfarrer hatte gedroht, keinen Trauergottesdienst abzuhalten, wenn mehr als zehn Personen kommen würden.

Kurz Restriktionen bewirkten, dass viele nicht beerdigt, sondern verbrannt wurden.

Plötzlich ist Corona wieder ganz nah. So geht das seit Wochen hin und her. Mitgefühl, Zorn, Wut und Tränen geben sich die Klinke in die Hand. Die reinste Achterbahnfahrt. Selbst meine Lieblingsverkäuferin aus dem Drogeriemarkt meines Vertrauens ertrage ich mittlerweile nicht mehr. Melanie und ich waren uns während des Lockdowns etwas nähergekommen. Sie hatte irgendwann angefangen mir meine Corona-Grundausstattung nach Feierabend nach Hause zu liefern. Im Gegenzug hatte ich mich stets liebevoll bedankt. Da Melanie als Dankeschön jedoch lieber hart bestraft werden möchte, hat sich unser kleines Arrangement mittlerweile wieder erledigt. Ich habe keine Nerven für derlei Spielformen. 

Melanie hat mit Kuscheln nichts am Hut.

Selbst auf Netflix schalte ich sofort ab sobald Blut fließt. Die drei Staffeln der Romantik-Komödie Lovesick hingegen habe ich dafür bereits zweimal mit feuchten Augen gesehen. Sogar bei Florian Silbereisen bin ich vor ein paar Tagen mal eine halbe Stunde hängen geblieben. Kurzum: Ich bin urlaubsreif.

Ich bin daher zum Opening-Weekend nach Kitzbühel rübergefahren und staunte nicht schlecht über den Andrang. Obgleich deutschen Staatsbürgern der Grenzübertritt offiziell nur mit triftigem Grund gestattet ist, hatte die Kitz-Society Russisch Roulette am Grenzübergang gespielt. 70 Prozent kamen durch, die anderen mussten umkehren. 

Wellnesstempel Stanglwirt war bereits am Eröffnungstag restlos ausgebucht.

Nicht wenige der angereisten Deutschen sorgten sich um ihre Ferienwohnsitze. Die sind nämlich nicht alle legal. Einige der Grundstücke, auf denen Ausländer sich prachtvolle Villen gebaut haben, wurden als Erstwohnsitz registriert. Ansonsten hätten sie nämlich nicht an Ausländer verkauft werden dürfen. Das Tiroler Raumordnungsgesetz, das der Grundstückspreissteuerung und dem Ausverkauf des Landes an reiche Feriengäste vorbeugen soll, sieht nämlich vor, dass nicht mehr als drei Prozent der lokalen Immobilien als Zweitwohnsitz geführt werden dürfen. Demnach dürfen ausländische Immobilienbesitzer, die dagegen verstoßen, sogar zwangsenteignet werden.

Es gab in der Vergangenheit bereits Bürgerinitiativen, die solche Verstöße zur Anzeige gebracht haben. Denen spielt Corona jetzt in die Karten. All die Prachthäuser, die während des strengen Lockdowns leer standen, können schließlich kaum echte Erstwohnsitze sein. Corona könnte daher so machen Villenbesitzer teuer zu stehen bekommen. Der Brutalo-Lockdown hat die sonst so gemütlichen Tiroler zum Teil sehr ungemütlich werden lassen. Sogar Anzeigen gegen Jogger und Mountainbiker, die gegen den Hausarrest verstießen, liegen vor. Alles anonym. „Sie lieben den Verrat, aber nicht den Verräter“, wie mir ein Polizist vor Ort erklärte.  

Kitzhof: Room with a view.

Besonders erfreulich: Spa ist in Österreich im Gegensatz zu Deutschland wieder erlaubt. Mit neuen Hygienevorschriften. Mehr als zwei fremde Personen dürfen sich nicht gemeinsam in der Sauna aufhalten. Im Ruhebereich stehen jedem Gast zehn Quadratmeter zu. Nach drei Monaten ohne Wellness war das Kitzhof-Spa für mich das reinste Paradies

Wellness im Kitzhof. Gefühlt war es der schönste Urlaub meines Lebens.

Während sich die Hotels mit den neuen Hygiene-Vorschriften arrangiert haben, ist in den geöffneten Szene-Lokalen wenig von Corona zu spüren. Auf Rosis Sonnbergstuben können die Gäste dank Sonnenterrasse gut ohne Masken auskommen. Auf ein Ständchen der singenden Wirtin müssen sie derzeit jedoch verzichten, denn Rosi trägt Maske.

Im Chizzo, dem lokalen Hotspot der Bussi-Bussi-Gesellschaft, scheint es fast so, als habe man noch nie was von Corona gehört. Es wird gebusselt, geschlemmt und gefeiert wie eh und je. Selbstverständlich wurden sie auch schon angezeigt. Anonym. Eh klar. Was für ein Gemetzel.

Auf dieser Beerdigung werden wahrscheinlich nicht viele Tränen fließen.
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