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Bye China

Landesweite Skyworth-Kampagne

Nach drei Monaten ist die Luft raus. Ich hatte zwar ein paar gute Jobs gehabt und war landesweit großflächig plakatiert, aber habe trotzdem nicht so viel gearbeitet wie erwartet. Man hatte mir prophezeit, dass ich kaum Zeit zum durch atmen haben würde vor lauter Arbeit. Davon war ich weit entfernt. Und Peking ist, bei aller Liebe, kein Ort zum Urlaubmachen. Wenn man hier arbeitet, kann man sich eine schöne Work-Life-Balance schaffen, aber für einen reinen Urlaub gibt es schönere Plätze. Und wenn einem im Massagestudio schon VIP-Mitgliedschaften angeboten werden, dann ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass man zu viel Freizeit hat. 

Fortune Teller @work

Also was tun? Geduld haben? Stadt wechseln? Agentur wechseln? Land wechseln? Oder heimreisen? Ich war leicht überfordert. Bei derlei schwierigen Entscheidungsprozessen kann eigentlich nur ein Hellseher helfen. Ein Fortune Teller, wie sie hier genannt werden. Es gibt einige rund um den Lama Temple und ein paar weitere in historischen Hutong-Gebieten. Eine ortskundige Freundin, Belinda, hatte mir eine alteingesessene Lokalgröße empfohlen, der schon seit über 20 Jahren erfolgreich im Geschäft sei. Sei erwähnt, dass ich in verschiedenen Teilen der Welt, mediale Begegnungen hatte, bei denen mir sprichwörtlich der Kinnladen runtergefallen war, weil mir schier unglaubliche Wahrheiten aus meiner Hand oder den Karten gelesen wurden. Das war in Peking nicht anders. Was der chinesische Spiritist veranstalte war ebenfalls unglaublich. Er las nicht aus meiner Hand oder aus den Karten, nein, er las aus seinem Smartphone. Chinese Style halt. Vorher hatte er Beruf und Geburtsdatum wissen wollen und damit suchte er im Netz wohl nach der Wahrheit. Oder auch nur nach dem Horoskop. Ja, auch wenn man mir das nicht ansähe, so sei ich dennoch jemand, der viel Wert auf sein Aussehen läge. Ferner sei ich, trotz aller Oberflächlichkeit, jemand, der auch manchmal gerne etwas denken würde. Ja, super, wochenlang hatte ich vergebens nach einem unfreundlichen Chinesen gesucht. Endlich hatte ich einen gefunden und ihm auch noch 50 Euro dafür bezahlt, dass er mich rund machte. 

Belinda übersetzte die hellsichtigen Botschaften

Es folgten ein paar weitere Analysen, die mit mir in etwa so viel zu tun hatten, wie das Horoskop in der Bunten. Ich drängte Belinda, die mir als Übersetzerin diente, ihm zu sagen, dass er doch bitte mal auf den Punkt kommen solle. Ob mir denn in China eine große Zukunft vergönnt sei? Wieder suchte er im Smartphone. Womöglich nach Statistiken über Arbeitsbedingungen für ausländische Models in China. Nach zehn Minuten kam er schließlich zum Schluss, dass Peking nicht so gut für mich sei. Ich müsse am Wasser leben. Und da in Deutschland geschäftlich eh nichts für mich zu holen wäre, solle ich doch am besten nach Shanghai ziehen. Das wäre gut für mich. Als ich seinen kleinen Zaubertempel eine Stunde später verlasse, finde ich in meinem Email-Eingang zwei interessante Jobangebote aus Deutschland, sowie die Absage einer Agentur aus Shanghai, bei der ich mich beworben hatte. Vielen Dank auch, Mr. Fortune Teller.

Smarte Damenwelt

Mit Spiritualität haben sie einfach nix am Hut die Chinesen. Während in den asiatischen Nachbarstaaten Dutzende von Göttern angebetet werden, scheinen die Chinesen mit dem Göttlichen nicht viel zu tun. Ich hatte in zwei Monaten ganze zwei Chinesen getroffen, die dem Buddhismus ein wenig zugetan waren. Alle anderen scheinen auch ohne göttlichen Beistand ganz gut klarzukommen. Trotzdem habe ich hier glücklichere Menschen erlebt, als in den asiatischen Nachbarländern. Vielleicht wohnt Gott einfach in ihren Herzen. Vielleicht täusche ich mich auch, wie mit so vielem in meinem Blog. Zumal meine Wahrnehmung sich nicht immer mit der, der anderen deckt. So hatten mir meine ortsansässigen Kumpels doch tatsächlich erklärt, dass eine echte Bindung mit einer Chinesin für sie nicht infrage käme, weil diese ihnen zu einfältig seien. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Die Chinesinnen, die ich kennengelernt hatte, waren alles andere als einfältig. Sie waren sogar sehr smart. Allesamt sehr gebildet und feinfühlig. So wie mir das ganze Volk sehr gebildet vorkam. Selbst die nicht studierten Dienstleister überraschten mich ständig mit ihrem Knowhow und ihren Kommentaren. Die Chinesen sind einfach ein schlaues Völkchen. Es wundert mich nicht, dass dieses Land, Donald Trump & Co. so viel Respekt einflößt.

Der Dude kann auch Willem Dafoe

Die Chinesen wissen, wie es zu laufen hat. Auch in der Werbung. Sie arbeiten sehr professionell. Sehr schnell und effektiv. Beim Shooting wissen sie genau, was sie wollen. Die Idee steht schon en Detail, wenn du ans Set kommst. Du stellst dich rein, sie drücken ein paar Mal auf den Auslöser, zack fertig, nächstes Bild.

Schnaps-Werbung

Kein Experimentieren. Kein probieren wir mal das oder das, nein, zack, bumm, fertig. So effektiv und schnell habe ich noch keine Fotografen arbeiten sehen, ohne dass die Qualität darunter gelitten hätte. Wohl auch, weil man hier nach Zeit arbeitet. Die Stoppuhr läuft ab dem Moment, wo du als Model in der Maske sitzt.

Die Zeit läuft ab Maskenbeginn

Zu Feierabend musst du dir deine Arbeitszeit minutiös vom Kunden abzeichnen lassen. Die Ergebnisse können sich trotzdem sehen lassen. Die meisten Shootings, die ich erlebt habe, waren deutlich innovativer als in Europa. Ich hätte es gerne noch weiter ausgekostet, aber die unsicheren Perspektiven, sowie die Anfragen aus Europa, hatten mir die Entscheidung heimzufliegen abgenommen. Dabei hatte ich mir so viel vorgenommen. Aber ich hatte es versäumt, einen hiesigen Kochkurs zu belegen. Genauso wie den Kaligrafie-Kurs, den ich angedacht hatte. Über Land gefahren war ich auch nicht. Die Frau fürs Leben hatte ich auch nicht gefunden. Es war alles anders gekommen. Beijing hatte alle Pläne ausgehebelt. Go with the flow, hatte mir Belinda kurz nach der Ankunft geraten. Das habe ich getan. Habe mich einfach treiben lassen. Habe schöne Momente und schöne Menschen erlebt. Wenn du dich drauf einlässt, wird dir China unter die Fingernägel gehen, hatte sie mir weiterhin prophezeit. Sie hatte recht behalten. China war mir unter die Fingernägel gegangen.

P.S. Ich habe übrigens erfahren, dass Jason Statham vor seiner Schauspielkarriere Mitglied im britischen Wasserspringer-Nationalkader war. Hatte ich also recht gehabt mit meiner chinesischen Übersetzung. Weiß man doch, dass diese Turmspringer alle nicht schwimmen können.

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