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Vater werden ist nicht schwer

An Christi Himmelfahrt gilt es eigentlich, den Vater im Himmel zu ehren. Aber seit 1936 von den Nazis der „Vatertag“ eingeführt wurde, wird man in Deutschland an diesem Tag kaum einen Vater in der Kirche antreffen. Sie ziehen lieber mit Bollerwagen und Bier durchs Land.

Millionen von Vätern werden sich wieder betrinken. Und da der Vatertag wie immer mit einem gesetzlichen Feiertag zusammenfällt, können sie es hemmungslos krachen lassen. An keinem anderen Tag im Jahr werden in Deutschland mehr Unfälle unter Alkoholeinfluss verzeichnet als am Vatertag. Warum sich Väter an ihrem Ehrentag derart betäuben müssen, erschließt sich mir nicht, aber es klingt, als würden sie die furchtbaren Plagen mal für ein paar Stunden vergessen wollen. Als wäre Vatersein eine Qual, die es zu verdrängen gilt.

Schwierige Kinder sind hausgemacht

Ja, Kinder können anstrengend sein, aber so werden sie nicht geboren, sondern gemacht. Ich galt selbst auch als schwieriges Kind. Ich hätte eigentlich ein Mädchen werden sollen, wie mir meine Mutter später gestand. Den Wunsch bekam ich wohl im Mutterleib mit, denn ich war ein sehr zartes und wehleidiges kleines Wesen. Immer am Jammern, Heulen, Motzen und Trotzen. Ein schwieriges Kind eben. Vor allem viel zu schwierig für meinen Vater. Sein Leben drehte sich vordergründig um seine Karriere, die Familie war eher eine Art Nebenkriegsschauplatz, den er mit eiserner Hand führte. Meine Kindheit war geprägt von Verboten, Maßregelungen, Demütigungen und der Botschaft, dass ich falsch sei, so wie ich bin:

»Sei gefälligst nicht immer so sensibel!«

An meiner väterlichen Misshandlung haben sich infolge viele Therapeuten abgearbeitet. Und immer, wenn ich glaube, ich hätte alles verarbeitet, vergessen und vergeben, kommt wieder irgendwas hoch. Wenn ich in China erlebe, wie extrem liebevoll Väter dort mit ihren Kindern umgehen, bekomme ich gelegentlich feuchte Augen, weil ich derlei Liebe als Kind nie erfahren habe. Ja, die Seelenwunden der Kindheit wiegen schwer. Sie bestimmen unser ganzes Leben. Und nicht selten auch das der anderen. Die vielen Psychos, mit denen man im Alltag so zu tun hat, sind zumeist auch misshandelte Kinder. Ja, den Ukraine-Krieg haben wir womöglich Putins Eltern zu verdanken.

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein hingegen sehr. 

Ich habe zwar keine Kriege verursacht, aber ich habe mich bei der Erziehung meiner Söhne auch nicht mit Ruhm bekleckert. Allein schon, weil ich mit ihren Müttern nicht lange genug zusammen war, um ihnen ein gesundes familiäres Umfeld zu bieten. Ich war eher der Rock-n-Roll-Dad, der kam und ging, wann er wollte und bei dem all das erlaubt war, was bei der Mama verboten war. Schließlich hatte ich mir von klein auf geschworen, dass es bei meinen Kindern nur eine Regel geben wird: keine Regeln!

Das kommt bei Kindern natürlich gut an. In dem privaten Öko-Kinderhort meines Sohnes, in dem man als Elternteil jeweils eine Schicht pro Woche absolvieren musste, war ich der Held. Da ich die pädagogisch angeblich so wertvollen Holzbausteine nur semi-spannend fand, sorgte ich für eine elektronisch betriebene Spielzeug-Grundausstattung in meiner Schicht. Dazu jede Menge Süßkram, und zwar das geile Zeug, mit richtig viel Zucker drin, sowie Gelbwurstringe und Wiener Würstchen vom Metzger nebenan. Die Kinder liebten mich. 

Die anthroposophische Elterngemeinde, die das verzögert irgendwann mitbekam, weil wohl der ein oder andere Körner-Zwerg sich zu Hause plötzlich weigerte, seinen gedünsteten Fenchel aufzuessen und stattdessen nach Würstchen schrie, gefielen meine pädagogischen Bemühungen nicht. »Dein Kind darf bleiben, du nicht!« 

Wenn einem der Gigolo ins Blatt geschrieben steht

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, warum aus mir kein klassischer Familienvater geworden ist. Am skurrilsten ist der, der mir in einer Palmblattbibliothek in südindischen Tamil Nadu serviert wurde. In diesen Bibliotheken werden Sammlungen von Palmblättern aufbewahrt, auf denen das vergangene, gegenwärtige und zukünftige Schicksal der Menschen niedergeschrieben ist. Die Aufzeichnungen sollen von heiligen Rishi stammen, die 5.000 vor Christus gelebt haben. Sie sollen ihre spirituellen Kräfte genutzt haben, um in der kosmischen Akasha-Chronik zu lesen und mehrere Millionen Lebensläufe von der Geburt bis zum Todeszeitpunkt auf Blätter der Stechpalme zu übertragen.

Es soll zwölf authentische Kopien von jedem Blatt geben (bestimmt auch zwölftausend gefälschte), die in zwölf Bibliotheken in verschiedenen Teilen des Landes liegen und die man sich von speziell geschulten Nadis vorlesen bzw. vorsingen lassen kann. Ich hatte mich auf Empfehlung für den Branchen-Primus Poosamuthu in Vaiteswaaran Koil entschieden. Nach einer Zahlung von 40 Euro hatte sich mein Nadi in der hiesigen Bibliothek auf die Suche gemacht und saß drei Stunden später mit meinem Blatt vor mir.

»You like women«, grinste er mich nach nur einem kurzen Blick in mein Palmblatt an.

»Yes, of course.«

»Many women you had.« Ja, ein paar seien es schon gewesen, meinte ich.

»No, no, you had so many women.« Ganz ungläubig schaute der Nadi in sein Blatt und tauschte irgendwelche Bemerkungen mit dem Dolmetscher aus. Der lachte ebenfalls.

»You Womanizer. You many girls and many women.«

Ich empfand mich nie als Frauenheld, aber für indische Verhältnisse war ich wohl der reinste Gigolo. In der Palmblatt-Historie gibt es ein Kapitel für die erste Ehefrau und gegebenenfalls eins, für die zweite, aber mehr Frauen sind im Palmblatt-Kosmos nicht vorgesehen. Natürlich hatte es mehr Frauen in meinem Leben gegeben als die Mütter meiner beiden Kinder, zumal ich ja die meiste Zeit meines Lebens ungebunden war. Der Nadi schien die Anzahl meiner Abenteuer abzulesen. Er war sehr beeindruckt. Ich wusste nicht, ob ich mich schämen oder mich geschmeichelt fühlen sollte, aber zumindest hatte er dadurch meine wohlwollende Aufmerksamkeit.

Das Karma eines Mistkerls

Das Bild, das er von meinem früheren Leben skizzierte, war jedoch nicht schmeichelhaft. Demnach wäre ich einer guten Familie in Calicut, Kerala, entsprungen und soll ein Womanizer gewesen sein, dem viele Mädchen zugetan waren, bis ich eine ganz besondere junge Frau mit großem Herzen traf. Ich schwängerte sie und heiratete sie auf ihr Drängen hin, wohl auch, weil die Mitgift lukrativ gewesen sein soll. Nach zwei Jahren seien die Gefühle erloschen und ich hätte die Gesellschaft von Prostituierten gesucht und in Folge einen Großteil unseres Vermögens verhurt. Als es mit meiner Frau deswegen zum Streit gekommen sei, soll ich sie, samt dem Kind, aus dem Haus geschmissen haben.

Verflucht, ohne Familie zu leben

Sie ertrug die Schande nicht und beschloss sich das Leben zu nehmen. Bevor sie mit dem Kind von einer Mauer in den Tod sprang, verfluchte sie mich und betete, dass mir niemals wieder Glück mit einer Familie vergönnt sein sollte. Ihr Fluch bewahrheitete sich. Meine zweite Ehefrau hätte mir alles abgenommen und mich allein sitzen lassen. Ich hätte daraufhin Zuflucht im Tempel gesucht und mit dem Beten angefangen. Meine Gebete seien erhört worden und mir wäre eine zweite Chance in einem deutschen Körper gewährt worden. In diesem Leben hätte ich wegen meiner Karma-Schulden mit vielen Problemen zu kämpfen und mir würde kein glückliches Familienleben vergönnt sein.

Karma-Schuld auflösen? Kein Problem!

Er empfahl mir, meine Karma-Schuld mithilfe von religiösen Ritualen, Pujas genannt, aufzulösen. Ich sollte mich zuerst in den hundert Kilometer südlich gelegenen Marien-Wallfahrtsort Velankanni, begeben, der Heiligen Maria eine große Kerze spenden, und auf Knien zu ihr beten. Dann sollte ich mich zu einem Shiva-Tempel nach Salem begeben und eine Blumengirlande und einen Sari spenden. Anschließend sollte ich in Kuthalam 108 arme Menschen speisen. Und am Schluss sollte ich wieder zu ihm zurückkehren und eine Blumengirlande, Früchte, Süßigkeiten, Honig, Milch und fünf Anzüge mitbringen. Außerdem sollte ich ihm 16 Mal 1080 Rupien als Opfergabe mitbringen. Dann würde er mit mir beten und all meine Sorgen würden dahinschmelzen. Mir würde eine gute Gesundheit beschert werden, meine Kinder würden heiraten und ich würde viel Geld verdienen.

Alternativ könne ich ihm natürlich auch 500 Euro geben, und er würde das alles von einem Stellvertreter für mich erledigen lassen, wie er beteuerte. »No problem, Sir.« Indien halt. Sie versuchen immer einen abzuzocken. Ich zockte auch und gab ihm nur 50 Euro. Hat funktioniert. Meine Kinder sind verheiratet. Gesund bin ich auch. Und ich verdiene achtmal so viel Geld wie früher, denn ich werde mittlerweile in Renminbi Yuan bezahlt. Da kann man nicht meckern, oder?

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