Ich träumte, dass Xi Jinping an meinem Bett saß und meine Hand hielt. Angela Merkel saß am Kopfende des Bettes und tupfte meine Stirn ab. Heidi Klum kniete am Fußende und, na ja, lassen wir das. Als ich aufwachte, war klar, dass mein Zustand noch ernster war als befürchtet. Wer von Heidi Klum träumt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Seit Tagen leide ich im Fieberwahn vor mich hin und wähne mich dem Tode nahe. Wie viel Zeit mir noch verbleibt, vermag ich nicht zu sagen. Google meint, dass es sich drei bis vier Wochen hinziehen könne, bis sich aus meiner Erkältung eine Lungenentzündung und schließlich eine tödliche Hirnhautentzündung entwickeln könne. Das soll zwar angeblich nur in „seltenen Ausnahmefällen“ passieren, aber das beruhigt mich nicht, das ist schließlich die Überschrift meines Lebens.
Natürlich gilt es bei solch lebensbedrohlichen Angelegenheiten mehrere Meinungen einzuholen, zumal ich in China bin und Google hier eigentlich nichts zu melden hat. Ich habe daher chinesische Suchmaschinen konsultiert, die mir schlicht Bettruhe empfahlen. Was für ein Hohn! „Have a rest“, das sagen sie hier immer, egal, was dir fehlt, ist wohl die Lieblingsmedizin von Menschen, die 72 Stunden die Woche schuften.
Wenn selbst die Huren einen davonjagen
Der entsetzte Gesichtsausdruck des Apothekers nebenan, der bei mir 39 Grad Fieber feststellte, war da schon aussagekräftiger. Auch ohne profunde Mandarin-Kenntnisse entnahm ich seiner Mimik, dass 39 chinesische Grad wohl 42 deutschen Grad entsprechen müssen. Ich müsste daher lange tot sein. Oder zumindest hätte ich nicht mehr lange. Aber egal, was er genau meinte, ich sollte wohl schleunigst seine Apotheke verlassen, wie ich seiner hektischen Handbewegung entnahm. „Hau ab, und stirb zuhause.“ Ja, ich weiß, ich hätte ein paar Vokabeln lernen sollen vor Anreise, aber ist jetzt auch egal.
Die Kunde von der todkranken Langnase verbreitete sich infolge schnell im Viertel. Eine Nachbarin brachte mir Mondkuchen vorbei, mein Vermieter fragte plötzlich an, ob ich denn die nächste Miete nicht schon mal zwei Wochen vorab überweisen könne, der Wachmann spendierte mir Schnaps und die Sexarbeiterinnen aus der Parallelstraße bemühten sich plötzlich nicht mehr, mich in ihre schmuddeligen Massagesalons zu locken. Finger weg von dem, das ist krankes Material!
Achtung vor Kostenfallen beim Tod in China
In Shanghai zu sterben, wäre vielleicht kein schlechter Abgang. So was macht sich bestimmt gut im Lebenslauf: Geboren in Trier, gestorben in Shanghai. Ja, der Kerl hat’s weit gebracht. Blöd nur für die Angehörigen, denn in China zu sterben ist für Ausländer eine teure Angelegenheit. Das kann je nach Aufwand locker 25 000 Euro verschlingen. Langnasen dürfen auf den lokalen Friedhöfen nämlich nicht bestattet werden; zumindest nicht ohne hiesigen Ehepartner. Da meine Sterbeversicherung sich lediglich auf 5 000 Euro beläuft, gilt es daher, entweder auf dem Sterbebett noch schnell zu heiraten oder Kostenfallen zu vermeiden.
Natürlich fliegt eine Urne günstiger zurück als ein Sarg. Und zwar besser mit einem Discount-Ticket von Air China als mit der Lufthansa. Oder noch günstiger mit dem Güterzug aus Yiwu. Yiwu, 350 km westlich von Shanghai, ist der bedeutendste Produktionsstandort für Kleinwaren der Welt, mit direkter Eisenbahnanbindung bis nach Madrid (10.000 km in 21 Tagen). Dort findet man neben all dem Christbaumschmuck bestimmt auch sehr günstigste Urnen.
Und die 5 000 Euro für eine Autopsie kann man sich auch sparen, solange kein Messer aus der Brust ragt. Gerichtsmedizinische Untersuchungen nach westlichem Vorbild sind nämlich unüblich und müssen daher selbst bezahlt werden. Wohl auch, weil hier kaum Menschen unnatürlichen Todes sterben. Das zeigt allein schon der jüngste Vorfall am Vorabend des Nationalfeiertages in Peking. Ein Amokläufer hatte drei Menschen erstochen und 15 weitere verletzt. Das Massaker sorgte für landesweites Entsetzen, da Vergleichbares seit zwei Jahren nicht mehr passiert war. Passiert bei uns fast wöchentlich.
„Als ob einem der Teufel ins Gesicht furzt“
Wie viele hier an Erkältungen sterben, ist nicht überliefert. Aber es müssen viele sein. Das Wetter in Shanghai war schon immer extrem, aber bedingt durch den Klimawandel, der die Durchschnittstemperaturen um sechs Grad hat steigen lassen, ist es noch schwerer zu ertragen. 38 Grad im September, das gab es früher nur im August, und der hatte jetzt bis zu 45 Grad. Taifune gab es früher auch nur im August, vor ein paar Tagen fegte der angeblich heftigste seit 70 Jahren durch die Stadt. In Kombination mit den vielen Regenschauern und den Kühlschranktemperaturen in den Gebäuden sind triefende Langnasen vorprogrammiert. „Was stimmt nicht mit dir, Shanghai? Wann immer ich die Haustür öffne, fühlt es sich an, als ob der Teufel mir ins Gesicht furzt“ Das Video eines Australiers ging vor ein paar Wochen viral.
Shanghai ist, wenn Tim Cook persönlich die Kunden begrüßt
„Shanghai ist nicht mehr, was es mal war.“ Das höre ich ständig dieser Tage. Es wird viel gejammert, vor allem vom Mittelstand, der durch die wirtschaftliche Schieflage zum Teil viel verloren hat. Der kleine Arbeiter, der im Schnitt 800 Euro im Monat verdient, jammert nicht, auf ihn hat die aktuelle Talsohle kaum Einfluss. Prada, Cartier & Co. müssen sich auch keine Sorgen machen, denn es gibt noch immer genügend Superreiche, die ihre Kassen füllen.
Arc’teryx hat im Januar den weltweit einzigen echten Flagship-Store in Jing’an eröffnet. Ein vierstöckiges Gebäude, inklusive Museum und Immersive Showroom, in dem es schneit, regnet und hagelt. Wenn die gekaufte Kleidung defekt oder schmutzig ist, wird sie im Store repariert und gewaschen. Der Laden setzt monatlich über 12 Millionen Euro um. Direkt daneben hat im März der zweitgrößte Apple Store der Welt eröffnet. Tim Cook stand persönlich an der Tür, um die Kunden zu begrüßen, die kilometerweit Schlange standen. Und obgleich Apple 2024 erstmals nicht unter den Top Five Brands des Landes rangiert, musste die Polizei zum Launch des iPhone 16 den Verkehr im Viertel umleiten, weil der Andrang so groß war.
Sport muss man sich leisten können
Ja, in China herrschen andere Dimensionen. Und China ist kein Spaziergang. Das wusste ich vorher und hatte mich gut vorbereitet. Meine 45 qm Erdgeschosswohnung mit Patio am Außenrand von Xuhui ist trotz Innenstadtlage relativ ruhig und für 860 Euro Monatsmiete auch vergleichsweise günstig. Dafür schlägt mein Gym mit 150 Euro monatlich kräftig zu Buche, wobei das schon ein Krisendiscount ist, letztes Mal hatte ich noch 250 Euro bezahlt. Aber Will’s Gym ist leider alternativlos, wenn man auf gewisse Hygienestandards, ein Schwimmbecken und etwas Yoga wert legt. Ja, Sport ist hier eher der Oberklasse vorbehalten. In einem Hallenbad zahlt man 10 Euro Eintritt, im Freibad zwischen 20 und 40 Euro, und eine 60-minütige Yogastunde kostet 50 bis 60 Euro. Der Normalo kann sich das nicht leisten. Und will es vermutlich auch nicht. Wer 72 Stunden die Woche buckelt, der braucht in seiner Freizeit kein Om, um zu entspannen. Ich nehme zwar mehr Sportler als früher wahr, aber Schlafen ist immer noch Volkssport Nummer eins.
„Willst du mein Daddy sein?“
Dass ich morgens freiwillig um 7 Uhr aufstehe, obwohl ich nicht muss, verstehen meine chinesischen Nachbarn nicht. Wie so einiges an mir für den Chinesen unverständlich ist. Ich habe daher angefangen, Videos aus meinem chinesischen Alltag auf Douyin (TikTok) und Xiaohongshu (Little Red Book) zu posten, die nicht nur bei der Gay Community („Willst du mein Daddy sein?“) gut ankommen, nein, ich habe einige interessante Business-Kontakte geknüpft. Sogar Chinas Top-Diplomat Shi Mingdé, ehemals Botschafter in Deutschland, hat mittlerweile mein Buch im Regal stehen.
Nachdem ich auf eine hiesige Influencer-Konferenz geladen war, bin ich voll im Thema. Und da hier jedes Video sofort von ein paar tausend Menschen gesehen wird, fühle ich mich jetzt ein wenig wie die Cathy Hummels (deutsche Influencerin) von Shanghai. Meine digitale Grundausstattung funktioniert dank Apple, deren chinesische Genius Bar ihren Namen verdient, reibungslos. Ja, mit genügend defekten Apple-Geräten im Gepäck würde sich allein deswegen schon ein Trip von München nach Shanghai rechnen. Zumal die hiesigen Mitarbeiter wahrscheinlich das beste Englisch der Stadt sprechen und für alles eine Lösung finden. Sogar einen Arzt im benachbarten Gebäudekomplex des Ritz-Carlton haben sie mir empfohlen.
Danke, Novak!
Als ich die Praxis von Dr. Warren Ho im Parkway betrete und mir Tennis Superstar Novak Djokovic entgegenkommt, sind meine Lebensgeister schlagartig wieder geweckt. Plötzlich war da wieder Licht am Horizont. Womöglich müsste ich doch noch nicht sterben. Ein Doc, der Novak behandelt, der muss Ahnung haben. Der Serbe ist ein Ausnahmeathlet (77 kg, 188 cm), ernährt sich rein pflanzlich (sein Buch „Siegernahrung“ ist sehr lesenswert) und hat als Impfverweigerer mehrere hochdotierte ATP-Turniere sausen lassen. Kurzum: ein Bruder im Geiste! Ja, mein Überlebenswille war wieder da.
Der New Yorker Exilchinese Dr. Ho, der als Turnierarzt bei den Shanghai Masters fungiert, hatte dann auch recht schnell herausgefunden, was mein Problem war. „Sie haben Covid!“ „Covid, echt jetzt?“ „Ja, das Virus gibt’s immer noch. Aber keine Sorge, daran stirbt man nicht. Ich habe gerade einen Tennisprofi positiv getestet, der in zwei Tagen bei den Masters antritt. Kein Problem. Ein sportlicher Typ wie sie steckt das auch locker weg.“ Wow, hatte er mich tatsächlich gerade mit Novak Djokovic verglichen? Das verfehlte seine Wirkung nicht. Ich war schlagartig genesen.
Udo Kier: 80 und kein bisschen leise
Zum Geburtstag von Deutschlands schrägstem Hollywood-Export.
Sterben in Shanghai muss man sich leisten können
Nicht nur das Leben ist teuer in Shanghai.
Brad Pitt: Mit vollem Mund spielt sich besser
Wie man aus Stars Superstars macht. Ein Hollywood-Coach klärt auf.
Viel heißes Wasser trinken ist auch eine alte Medizinweisheit aus dem Reich der Mitte …. musst Dir mal alte clips anschauen von MAMAHUHU Comedy Club, die haben da mal was dazu gemacht . gibt es evtl auch auf youtube
Danke, Andreas, aber ich glaube die noch bessere Medizin wäre Guangzhou. Euer Wetterbericht gefällt mir besser. Ich melde mich die Tage.